DAS INTERVIEW
mit Daniel G. Anders . by Nemo

Dieses Buch zu veröffentlichen, ist mir nicht leichtgefallen. Es zeigt Episoden aus meinem bisherigen Leben auf, die so mancher von Ihnen wohl als grotesk oder gar abartig empfinden wird. Doch ich hatte das unbedingte Bedürfnis, meine Geschichte zu erzählen. Nicht nur, weil ich dadurch hoffte, wieder ein wenig mehr zu mir selbst finden zu können, sondern weil ich der Ansicht bin, dass sie auch eine Warnung darstellt, und um den Missbrauch aufzuarbeiten.
Wenn Ihr mehr darüber wissen wollt, findet Ihr weiter unten einige Antworten darüber, was meine eigentliche Motivation war, dieses Buch zu schreiben.
Ein Buch über das Überleben nach Missbrauch…Hallo Daniel! Kürzlich ist Dein erstes Buch, „Im Abgrund – Die wahre Geschichte von Pussyboy“ erschienen. Was hat Dich dazu bewogen, gerade jetzt dieses Buch zu schreiben?
Eigentlich war das Buch für mich längst überfällig. Aber es brauchte eine Menge Mut dafür, und den hatte ich eigentlich nicht. Als eher introvertierter Mensch, der ich nun mal bin, war der bloße Gedanke daran, diese Geschichte vor einer Leserschaft so offen auszubreiten, nicht gerade angenehm. Letztendlich musste ich dazu überredet werden.
„Überredet werden“ ist ein gutes Stichwort. Du hast für die Ausarbeitung des Buches einen Ghostwriter herangezogen. Wie hat sich diese Zusammenarbeit gestaltet?
Sehr gut. Eigentlich war es letztendlich auch Nemo, der mich überredet hat, das Buch zu schreiben. Und ich finde, es ist es auch ein absolut lesenswertes Werk geworden. Ich selbst wäre offen gestanden gar nicht in der Lage gewesen, eine Story, die sich über gut 260 Seiten zieht, entsprechend auszuarbeiten. Dazu braucht es schon einen versierten Schreiber. Vor allem aber braucht es dazu Vertrauen. Und das hatte ich, bedingt dadurch, dass wir einander schon eine gefühlte Ewigkeit kennen, zu ihm. Ich bin also daran gegangen, alles, was ich noch in Erinnerung hatte, aufzuzeichnen – und zwar mit einer Offenheit, wie ich sie noch nie jemanden entgegengebracht habe – was nicht gerade leicht war. Und aus diesen Aufzeichnungen hat er dann diese Geschichte zusammengefügt. Der ganze Prozess ging über Monate, da ich zwischendurch immer wieder Zeit brauchte, mich zu sortieren. An manchem Dinge konnte ich mich nicht mehr, oder vielmehr WOLLTE ich mich nicht so richtig erinnern, sodass da immer wieder Lücken entstanden. Aber Nemo war extrem beharrlich und hat mir auch noch die letzte Einzelheit aus der Nase gekitzelt.
Wie ging es Dir, als Du die Geschichte dann zum ersten Mal gelesen hast?
Schlecht! Sehr schlecht sogar! Stellenweise war ich sogar den Tränen nahe. Alles, was sich in meinem Leben ereignet hat, auf einmal und so komprimiert zu lesen, war wirklich eine erschütternde Erfahrung. Vor allem aber, hat Nemo alles derart lebhaft beschrieben, dass ich das Gefühl hatte, alles würde sich tatsächlich noch einmal ereignen. Aber letztendlich war das alles auch enorm hilfreich, da ich dadurch viel besser alles hinter mir lassen konnte. Das Buch war somit auch eine Art Therapie für mich. Und dafür bin ich extrem dankbar.
Im ersten Kapitel ist vor allem vom Missbrauch die Rede, der Dir in einem deutschen Kinderheim widerfahren ist. Wie gut kannst Du Dich daran noch erinnern?
Schemenhaft. Ich erinnere mich vor allem an die Schmerzen und die extremen Ängste, an denen ich über Jahre litt. Ängste, an denen ich auch heute noch leide. Sie können so stark sein, dass ich zeitweilig nicht einmal in der Lage bin, aufzustehen oder zu laufen. Man ist wie gelähmt, weil man so wahnsinnig zittert. Diese Flashbacks kommen noch immer über mich, und zwar in regelmäßigen Abständen. Oft genügt ein kleiner Impuls, um sie auszulösen. Ein Impuls, wie etwa das „Zischen“ eines Anzugs. Es lässt mich noch heute zusammenzucken, weil es vor allem dann ertönte, wenn sich einer meiner Peiniger mir genähert hat. Für mich bedeutet dieses Geräusch noch immer Unheil. Darum trage ich selbst bis heute keinen Anzug.
Was würdest Du Menschen raten, die Ähnliches erlebt haben, bzw. wie sollten Menschen handeln, denen etwas Derartiges auffällt (z.B. in der Verwandtschaft oder im direkten Umfeld)
Sofort ernst nehmen und das Kind fragen, was genau passiert ist. Wenn tatsächlich etwas vorgefallen ist, sofort einen Psychologen aufsuchen. Es ist wichtig das Trauma zu bekämpfen, sonst wird das Kind nicht in der Lage sein, je wieder ein normales Leben führen zu können, sondern muss lernen irgendwie zu überleben nach dem Missbrauch. Das Wichtigste ist jedoch: Nicht Schweigen! Täter, die solche Taten begehen, gehören aus dem Verkehr gezogen. Und das geht nur, wenn man nicht schweigt.
Viele Ereignisse in diesem Buch muten sehr brutal an und sind für „normale“ Menschen beinahe unvorstellbar. Wie ist es Dir gelungen, das Alles zu verarbeiten?
Nun, das ganze verteilte sich auf sechs Jahre. Wenn man das im Buch gebündelt liest, mutet das Alles natürlich extrem an. Ich hatte zwischendurch natürlich immer Zeit, mich von den Ereignissen zu erholen, was jedoch nicht bedeutet, dass die Erfahrungen nicht auch für mich extrem gewesen sind.
Beeinflusst all das Geschehe auch noch heute Dein Leben?
Oh ja! Es bestimmt eigentlich sogar mein Leben. Ich bin nach wie vor traumatisiert und habe unentwegt Ängste, die mich lähmen. Das hat mich letztendlich sogar meine Kariere gekostet. Ich bin zwar zufrieden, mit dem, was ich zurzeit mache, doch ohne das alles wäre ich mit Sicherheit wesentlich erfolgreicher geworden. Missbrauch zerstört das ganze Leben.
Du hast im Buch geschrieben, dass Du erst jetzt „gelernt hast zu gehen“. Ist das so zu verstehen, dass es ein Leben vor und nach diesem Buch gibt?
Ja! Durch das Buch, vor allem aber durch die Kommunikation mit Nemo, wurde ich tatsächlich etwas selbstbewusster. Es war wie ein Einschnitt, wie eine Zäsur. Der Makel daran ist jedoch, dass mir erst jetzt, mit über 60 Jahren bewusst wurde, was ich dadurch alles in meinem Leben verpasst habe. Das ein oder andere werde ich vermutlich noch versuchen nachzuholen – sofern es überhaupt möglich ist und mir noch die Zeit dafür bleibt. Aber offengesagt, wünsche ich mir rückblickend betrachtet, ich hätte Nemo früher eingeweiht, sodass wir das Buch bereits vor zwanzig Jahren schreiben hätten können (lacht).
Hast Du vor noch weitere Bücher zu schreiben? Wenn ja, über welche Themen?
Das weiß ich noch nicht. Aber wenn doch, wird es um Themen Missbrauch oder das generelle Thema „Opfer sein“ gehen. Ich denke, ich habe da recht viel weiterzugeben.
LESEPROBE
Um Euch einen etwas genaueren Einblick in das Buch zu geben, haben wir eine Leseprobe
(bestehend aus Kapitel I&II) für Euch bereitgestellt!